1947 – 1967

Hans Hinkel wurde bei den Kämpfen um Berlin 1945 so schwer verwundet, dass die Sowjets ihn aus der Kriegsgefangenschaft entließen. An beiden Armen und Händen gelähmt war es ihm unmöglich, selbst ein Instrument zu spielen. Trotz langsamer Genesung war der Wunsch, Musik zu studieren, unrealistisch.

1946/47 wurde er als Lehrer an das Gymnasium in Annaberg berufen. In den schweren Nachkriegsjahren gab Hans Hinkel seinen Schülern, von denen viele Waisen und Halbwaisen waren, Heimat und Geborgenheit in dem von ihm gegründeten Schülerorchester und dem Schulchor. Seine Leidenschaft für Musik sprang über auf seine Schüler. Er machte den Chor zum Instrument seiner Seele. Er liebte seinen Chor und die Choristen ihn.

Die Choristen hatten neben den Auftritten, den täglichen Proben in der Aula und der persönlichen Stimmbildung durch eine anerkannte Stimmbildnerin Freude an alldem, denn Hans Hinkel hatte ein gutes Gespür für Freizeit, Spiel und Spaß und lachte gern mit anderen.   So wurde der Chor eine vertraute Insel im bedrohlichen poltischen Getriebe dieser Jahre.

In den 1950 -er Jahren  fanden  in der DDR Wettbewerbe der „Deutschen Festspiele der Volkskunst“ statt.

Welcher Chor ist der beste im Land?

Allein im Kreis Annaberg maßen sich 60 Chöre aneinander im gegenseitigen k.o. System.

Sieger wurde der „Chor der Oberschule Annaberg“ unter Hans Hinkel.

Der Sieger durfte zum Landeswettbewerb nach Dresden fahren.

Pfingsten 1951 in Dresden setzte sich auch der Annaberger Chor „mit Begeisterung und jugendlichem Feuer“ (wie ein Schüler im Chortagebuch schrieb) an die Spitze aller Chöre Sachsens.

Dresden 1951

Wolfgang Richter (techn. Leiter)

Zugfahrt

Als Geschenk für den Landessieg erhielt der Chor einheitliche Chorkleidung, die Mädchen „Engelkleider“ und die Jungen „Bergmannsuniformen“ (weil sie aus dem Erzgebirge kamen) Instrumente und Chorbücher im Wert von 32.800 Ostmark.

1951 in einheitlicher Chorkleidung bei den Weltfestspielen

1952 wiederholten sich die ganzen Wettbewerbe: Kreisausscheid, Bezirksausscheid , Landesausscheid  und dann:  Auf nach Berlin zum DDR-Ausscheid!

Es nahmen Chöre, Orchester, Tanzgruppen und Laienschauspieler aus der ganzen DDR daran teil. Es bewarben sich allein 11.000 Chöre!

Unser Chor, der beste Sachsens, wollte und musste natürlich teilnehmen.

Abenteuerliche Fahrten und Unterkünfte auf Strohlagern in Turnhallen machte den Schülern nichts aus. Es ging ums Siegen und sie siegten!

Hans Hinkel mit seinem „Chor der Oberschule Annaberg „ ist der beste Chor in der ganzen DDR, ist „Republiksieger!!!“

Urkunde

Siegerehrung im Friedrichstadtpalast

Geschenk der Regierung: Ein Satz Volksmusikinstrumente

Ministerpräsident Walther Ulbrichts Geschenk war eine Woche Chorlager auf dem Fichtelberg.

Das war so richtig nach dem Geschmack aller.

Nun war der Chor berühmt. Sein einfältiger Name: „Chor der Oberschule Annaberg“ musste einem bedeutenderen und politischeren weichen. Johannes R. Becher gab ihn her.

Es folgten Jahre zahlloser Chorauftritte. Jeder Verein, jede Kulturhauseinweihung,  Krankenhäuser, und vor allem politische Veranstaltungen brauchten den so berühmten Chor. Der war fast täglich unterwegs vom Erzgebirge  bis  zu Staatsakten in Berlin, ……und dann wieder zum Adventssingen ins Annaberger Altersheim.

Aufführung von Verdis Requiem im Theater Annaberg, Totensonntag 1955

In den Zeugnissen der Choristen wurde diese Arbeit als „gesellschaftliche Tätigkeit“ registriert und das war für die Schüler positiv.

Für die Schüler oft harte Arbeit, Disziplin und wenig Schlaf, für Hans Hinkel jedoch eine Mammutleistung. Das Niveau halten! Jedes Jahr verließen die besten Sänger den Chor und neue Schülen kamen. In jeden Herbstferien war deshalb irgendwo grundsätzlich immer Chorlager.

Hier einige Tonaufnahmen

Wenn de Vugelbeer blüht

Alle Blümla of de Wiesn

Horch när, wie de Vugeln singe

Der Chor war das Reisen gewohnt. Ganz besonders jedoch war der Auftritt in Bad Oeynhausen in Nordhein-Westfalen. Damit waren sie einer der wenigen Chöre, die zu einem Auftritt in den Westen fuhren durften. Und das 1961 kurz vor dem Mauerbau.

Kennengelernt hatten sich der Chorleiter des Bad Oeynhausener Chores Heinz Böcke und Hans Hinkel schon 1956 im Rahmen des gesamtdeutschen Sängertreffens während eines Auftritts in Böhlen.

 

Heinz Böcke und Hans Hinkel

Der Auftritt in Bad Oeynhausen wurde ein großer Erfolg. Der Chor sang in einem überfüllten Kulturhaussaal. Sein Ruf war ihm durch einen 1960 stattgefundenen Gegenbesuch des Bad Oeynhausener Chores in Annaberg vorausgeeilt.

Abschiedslied vor Abfahrt nach Bad Oeynhausen

Auftritt in Bad Oeynhausen

Aus einem Mitschnitt des WDR vom Konzert in Bad Oeynhausen:

Dr Himmel is a Lichterbugn

Bis Hans Hinkel sich bei der SED unbeliebt machte. Er weigerte sich zu unterschreiben, „mit der Waffe in der Hand die Sozialistischen Errungenschaften zu verteidigen“.

Als er dann auch noch die Jugendweihe seiner eigenen Kinder ablehnte, war das Maß voll.

Hans Hinkel musste Schule und Chor verlassen.

Ausführlicher ist die Chorgeschichte in E. Drechsler: „Chor-Konzert nach 40 Jahren“, ISBN 978-3-86465-027-7 erzählt.